Die WahlärztInnen

 

 

Vor einigen Jahren habe ich einen Artikel in einer Fachzeitschrift gelesen, dessen Autor mir leider nicht erinnerlich ist. Die Botschaft lautete: In Österreich braucht kein wirklich kranker Mensch jemals eine medizinische Versorgung im privaten Bereich, weil es für ernsthafte Erkrankungen auf diesem Sektor keine Leistungen gibt. Die völlige Nichtexistenz von Herzkatheterlaboren, Chemotherapien oder komplexen Rehabilitations- und Remobilisationsstrukturen wurden hier exemplarisch angeführt. Ich hätte diese Argumente damals zu einhundert Prozent unterschrieben.


Aus meiner Sicht wurde in den letzten drei Jahren nach dem Prinzip „Die Tore, die man nicht schießt, kriegt man“ im Gesundheitssystem eine bedeutende Wende eingeleitet. Die Probleme in der medizinischen Grundversorgung, die aus der COVID-Pandemie entstanden sind, sowie die Personalengpässe, die meiner Meinung nach aus der enorm unzeitgemäßen Personalpolitik der öffentlichen Einrichtungen der letzten Jahrzehnte resultieren, waren hier die treibenden Faktoren. Diese haben sukzessive sowohl diagnostische als auch therapeutische Möglichkeiten in den privaten und wahlmedizinischen Sektor getrieben.


Eindringlich ist mir hier ein Fall in Erinnerung, der sich vor mittlerweile einem Jahr in einer Ordination zugetragen hat, in der ich vertreten habe. Ein einigermaßen junger Patient wurde damals mit mittelstarken gastrointestinalen Symptomen vorstellig. Ein Bauchgefühl aus meiner Ausbildungszeit in der Onkologie lies bei mir einen Instinkt aufsteigen, aber ich konnte keine konkreten Gründe für eine stationäre Abklärung hervorbringen. Ich habe in Anbetracht der damals exorbitanten Wartelisten für CTs und Gastroskopien vorgeschlagen, diese Untersuchungen im privaten Bereich durchzuführen. Dass dies dem Patienten finanziell völlig unmöglich war, hatte für ihn die schlimmstmöglichen Folgen. Erst mit mehrwöchiger Verzögerung wurde er auf mein Anraten auf einer Krankenhausambulanz vorstellig, wo im Rahmen einer Notgastroskopie ein bereits metastasiertes Speiseröhrenkarzinom diagnostiziert wurde. Er verstarb wenige Zeit später unter laufender Chemotherapie. Eine reguläre Gastroskopie hätte zu diesem Zeitpunkt möglicherweise immer noch nicht stattgefunden.


In der Zwischenzeit habe ich in meinem Arbeitsleben fast täglich damit zu tun, dass ich PatientInnen, für die im öffentlichen Gesundheitswesen keine adäquaten Ressourcen existieren, an WählärztInnen oder Privatinstitute verweise. Je nach finanziellen Mitteln werden diese Vorschläge in immer mehr Fällen auch angenommen, wie etwa eine Patientin, die wegen starker Blutungen beim Harnlassen vorstellig wurde. Noch vor dem frühesten Vorstellungstermin an der Uniklinik oder im Kassenbereich konnte das ursächliche Blasenkarzinom durch einen Wahlarzt diagnostiziert, operiert, nachreseziert und mittels Instillationen nachversorgt werden.

Die einzigen Patienten, die ich zum größten Teil leitliniengemäß und zeitgerecht ohne finanzielle Eigenmittel versorgen kann, sind die Inhaftierten aus der Justizanstalt, die ich nebenberuflich betreue. Deren Grundversorgung und Infrastruktur wird durch Mittel aus dem Justizressort gesichert.


Insgesamt ergibt sich mir post hoc ein Bild eines Stellenplans, der sowohl von den Krankenkassen als auch von Spitalsträgern jahrzehntelang an der Alterspyramide und den medizinischen Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei erstellt und erhalten wurde. Diese Bedürfnisse werden nach ökonomischen Prinzipien durch einen privaten Sektor abgedeckt. Wenn wir als Gesellschaft das Abdriften in Richtung Zweiklassenmedizin mit Krankenhäusern von privaten Zusatzversicherern, in denen auch privatversicherte Krebs- und InfarktpatientInnen versorgt werden, verhindern wollen, müssen wir jetzt mit allen Mitteln gegensteuern. Es kann nicht sein, dass die Versorgung von Kranken in einer Haftanstalt (löblicherweise) garantiert ist, während jedoch öffentlich versicherte PatientInnen an der normalen Versorgungsstruktur scheitern.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass es das Letze ist, den WahlärztInnen an der Krise die Schuld zuzuschieben.